Ist das Glas noch halb voll oder schon halb leer?

Am 8. Juni, einen Tag vor der Europawahl, gab es in Berlin und anderswo noch einmal Demonstrationen gegen Rechts. UNUMONDO war in Berlin wieder dabei. Am nächsten Tag wurde das 10. Europaparlament gewählt und das Ergebnis war ausgesprochen erschreckend, wenn auch nicht völlig überraschend. In Deutschland und in weiten Teilen Europas ist ein deutlicher Rechtsruck zu verzeichnen, gerade auch bei jungen Wähler*innen. Haben die eindrucksvollen Demos seit Anfang des Jahres nichts bewirkt? Das kann man nicht sagen, immerhin ist die AfD nunmehr weit von den über 20 Prozent entfernt, die sie in Umfragen noch vor wenigen Monaten bundesweit erreichte. Die Demonstrationen mögen ihr Teil zu diesem relativen Rückgang beigetragen haben.

Zu sehr großer Sorge geben aber nicht nur die Wahlerfolge der Rechtsextremen insgesamt Anlass, sondern besonders auch die frappierenden Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland sowie die politischen Erdrutsche, die sich in nur fünf Jahren ereignet haben. Waren die Ergebnisse, dargestellt nach der jeweils stärksten Partei auf Landkreisebene, 2019 noch vergleichsweise differenziert, bietet sich 2024 ein deutlich verstörenderes Bild. Mehr noch als im restlichen Bundesgebiet neigen offenbar viele Ostdeutsche dazu, rechten Rattenfängern ihre Stimme zu geben.

Warum das so ist, darüber kursieren etliche Theorien. Es gibt wohl zwei Hauptgruppen: Die einen geben ihre Stimme immer noch aus Protest der AfD. Sie gleichen Schafen, die – aus nicht selten berechtigten Gründen – mit dem Schäfer unzufrieden sind, aber stattdessen lieber die Wölfe auf die Weide lassen. Die zweite Gruppe besteht schon aus Wölfen, die endlich ihre Schafspelze abwerfen wollen…

War für die Wahl 2019 noch der Klimawandel das bestimmende Thema, ist es jetzt die sogenannte Migrationskrise. Die Gefahren der globalen Erwärmung sind im Bewusstsein vieler Wähler*innen in den Hintergrund gerückt. Dabei hängen beide Themen sehr eng zusammen. Die Ignoranz gegenüber der Klimakrise wird auch millionenfache weltweite Migration und die mit ihr einhergehenden Probleme verstärken…

Beide Themen eignen sich allerdings auch hervorragend für Populismus jeder Art. Und das ist das eigentlich Unheimliche bei dieser Wahl: Ableugnung, Ignoranz, Fake News, Hetze, Hass und Angst schüren sind offenbar sehr wirksame Mittel, Wahlen zu beeinflussen, auch bei der einen oder anderen Partei aus dem demokratischen Spektrum. Nicht, dass das neu wäre, aber es wird immer deutlicher. Wir haben kein Patentmittel dagegen, sehen aber, dass die Zivilgesellschaft gefordert sein wird wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte…

Bild von: Am 8. Juni, einen Tag vor der Europawahl, gab es in Berlin und anderswo noch einmal Demonstrationen gegen Rechts.